BHSF ist ein junges Büro und befindet sich mitten im Aufbau. In dieser Situation stehen praktische Fragen im Vordergrund. Um ausserhalb der Projektarbeit über den Sinn und Zweck unserer Arbeit nachzudenken, bleibt meist wenig Zeit. Als uns die konkrete Frage nach der Verantwortung des Architekten gestellt wurde, fiel uns jedoch auf, dass dieses Thema bei unseren Diskussionen tatsächlich immer wiederkehrt. Denn schon bei der Bürogründung haben wir unsere Position zur Aufgabe des Architekten geklärt, und unsere damaligen Entschlüsse prägen die Arbeitsweise von BHSF maßgeblich.
In erster Linie haben wir uns damals gefragt, auf welche Art von Bauaufgaben und Bauherren wir abzielen wollen. Was hat es für Konsequenzen, die Ansprüche an das gebaute Projekt in Höhen zu schrauben, die 95% der Bauaufgaben und Bauherren von vorne herein ausschließen? Nimmt man damit nicht im Endeffekt in Kauf, dass der Grossteil unserer Umwelt von Architekten gestaltet wird, die man als „schlecht“ bezeichnen würde? Und hat man als ambitionierter Architekt daher nicht die Verantwortung, sich nicht nur die Zuckerstücke herauszusuchen? Entsprechend haben wir uns entgegen unserer Ausbildung und den Erfahrungen, die wir in der Zeit vor unserer Selbstständigkeit gesammelt haben, dazu entschieden, uns auch in diejenigen Bereiche zu bewegen, in denen für Publikationen nicht so viel zu holen ist.
1. Urbanität und Alltäglichkeit
Dass ein Architekt immer nur auf seine Selbstverwirklichung im eigenen möglichst einheitlichen Werk schielt, empfanden wir schon während des Studiums als falsch. Für uns war klar, dass Architektur nicht zum Selbstzweck werden darf, weil sie sonst den Bezug zur Gesellschaft verliert. Die Abneigung gegenüber bezugsloser und abgedrehter Architektur wurde in dieser Zeit vom Projekt Housefucking sehr deutlich auf den Punkt gebracht: Architekten lecken Häuser, reiben sich an ihnen, ziehen sich aus, versuchen sie zu penetrieren. In den Filmen brachten Philip und Adrian König, Nele Dechmann, Sophie Hochhäusel, Patrick Maisano und Axel ihr Unbehagen gegenüber der Schweizer Architekturszene zum Ausdruck. Diese hatte sich unter den Zwang gestellt, immer neue Erfindungen hervorzubringen und diese möglichst sexy zu materialisieren. Housefucking stellt – im Grunde auch gar nicht mal so übertrieben – dar, wie die Architekten sich an den eigenen Gebäuden und denen anderer aufgeilen. Ihr befremdlicher Fetisch, der übrigens in einigen Internet-Foren ernsthaft als solcher diskutiert wurde, entfernt sie von der Gesellschaft, für die sie ja eigentlich arbeiten.
Camenzind folgte einem ähnlichen Impuls wie Housefucking. Denn bei Architektur geht es auch um die Kommunikation mit den anderen Städtern. Nähe sollte gesucht und gelebt werden. Der Architekt sollte in der Gesellschaft, in der er lebt, verwurzelt sein. Besonders in der Reflexion über Architektur schien uns dieser Bezug jedoch verloren zu gehen. Daher gründeten wir die Zeitschrift Camenzind, mit der wir die fachliche Isolation aufbrechen und den Ernst und die Fixiertheit auf die Architektur relativieren wollen: Architekturlaien schreiben Beiträge, man darf über Architektur lachen, die Bereiche vermischen sich. Camenzind will den Architekturdiskurs nicht über die Köpfe der Laien hinweg führen, denn Bewohner, Benutzer und potenzielle Bauherren sollten sich ihre Vorstellung über Architektur nicht nur aus „Häuser“, „Schöner Wohnen“ oder „Country Living“ zusammensuchen müssen. Die Architekten sollten dazu gezwungen werden, ihre Gedanken so zu erklären, dass auch der Laie sie versteht.
Bald merkten wir, dass das, woran Housefucking und Camenzind Anstoss nahmen, keinesfalls neu war. Bemerkenswert genau brachte 1970 Paul Nizon den Sachverhalt in seinem „Diskurs in der Enge“ auf den Punkt: „Die Sage ist, dass das architektonische Niveau hierzulande im Durchschnitt erfreulich bis erstaunlich, jedenfalls konkurrenzfähig sei. Wer Architekturbetrachtung als Inventar sogenannter “Guter Bauten” betreibt und auf einen Katalog von Einzelleistungen – auf einen Qualitätenkatalog – erpicht ist, mag so urteilen. Wer Architektur urbanistisch begreift, hat in der Schweiz allerdings wenig zu rühmen.“ Nizon flüchtete nach Paris, wo er die in der Schweiz vermisste Urbanität fand. Nach dem Diplom wanderten auch einige der Housefucking-Gründer nach Berlin aus. Wir blieben in Zürich, die von Nizon geäußerten Zweifel allerdings stets vor Augen.
Die Urbanität wurde in der Folgezeit zu einem immer wichtigeren Stichwort. Zwar wissen wir allein schon durch unsere Ausbildung die einzelnen „Guten Bauten“ durchaus zu schätzen und verleugnen ihre Qualitäten nicht. Gute Grundrisse, gute Fassaden und klare städtebauliche Positionierungen sind das Handwerkszeug des Architekten. Auch Architekturwettbewerbe sind unserer Überzeugung nach das richtige Mittel, um das architektonische Niveau unserer Umwelt zu heben. Doch mit Urbanität hat das nur bedingt zu tun. Wir merkten immer mehr, dass unser Blick sich verlagern musste: Weg von dem, was um jeden Preis herausstechen will, hin zur Alltagsarchitektur, die sich klar zur Stadt als solcher bekennt. Der Architekt, der sich nur für das Besondere interessiert, ist kaum in der Lage, wirklich urban zu bauen.
Bei unserer Auseinandersetzung mit dem Alltäglichen merkten wir auch, dass man es bei voyeuristischen Autofahrten durch die Peripherie nicht belassen kann. Die Beschäftigung mit dem Alltäglichen darf sich nicht auf die bildliche, oberflächliche Ebene beschränken. Diesen Ansatz verfolgt auch die Doktorarbeit von Ben. Darin hat er die Graue Architektur der deutschen Nachkriegszeit untersucht, also die Alltagsbauten, mit denen die Lücken des Krieges gefüllt wurden. Die Graue Architektur kann nur adäquat um- und weitergebaut werden, wenn man sie wirklich analysiert. Entsprechend hoffen wir, dass das im Sommer erscheinende Buch die Diskussion um diese Architektur anstoßen wird. Denn auch in den Feuilletons dreht sich fast alles um das Besondere und Exklusive. Das Normale und Alltägliche hingegen dient höchstens als Motiv für schöne Bildbände.
2. Das Zügeln der individuellen Kreativität
Im ersten Jahr nach der Bürogründung fuhren wir gemeinsam nach Le Havre, um uns die Stadtplanung und einige Bauten von Auguste Perret anzuschauen. Während der Vorbereitung stieß Axel auf einen Brief von René Dubuffet, Bewohner einer Studioresidenz von Perret, an den Architekten:
„Seit zwei Jahren bin ich der Mieter des Pavillons, den Sie für Madame Mela Muter errichtet haben. Es ist mir ein Bedürfnis Ihnen mitzuteilen, dass es ein Vergnügen ist in diesem Haus zu leben (…). Die Elemente, aus denen sich das Haus zusammensetzt sind so konzipiert, dass hier zu leben sich als sehr angenehm darstellt. Es ist angenehm die Tür zu öffnen, angenehm sie wieder zu schließen, angenehm von einem Raum in den nächsten zu schreiten. Es ist erstaunlich, dass es nach zwei Jahren genauso angenehm ist wie am ersten Tag.
Der Gebrauch der Treppe ist besonders außerordentlich: Ich versichere Ihnen, dass ich mindestens zwanzig mal pro Tag hoch und wieder runter gehe, mehr als eigentlich notwendig wäre. So etwas offenbart sich nicht beim ersten Kontakt, es ist eine Art Geheimnis.
Zu Beginn bemerkt man nichts Außerordentliches an diesem Gebäude, aber mit dem täglichen Gebrauch beginnt man sich zu wundern. Es ist das erste Mal, dass ich Architektur wirklich begegne: Dieses Haus enthüllt mir, was Architektur eigentlich ist und wie sie die verworrenen Anforderungen auflöst, sie auflöst mit sicherer Erkenntnis, Autorität und Selbstvertrauen.
Ich verstehe jetzt, was notwendig ist, um ein solches Haus zu entwerfen. Ich verstehe, dass die Architektur der Räume, das Arrangement und die Dimensionen der Wände, der Türen, der Abtrennungen eine Sprache sind, die konstant zu dem Nutzer spricht. Ich höre dieses Gebäude seit zwei Jahren zu mir sprechen, und ich genieße es mehr und mehr und wollte dieses mit Ihnen teilen.“
An diesem Brief begeisterte uns vor allem die Tatsache, dass Perret beim Entwurf seine eigenen gestalterischen Vorstellungen den funktionalen Anforderungen und der „Normalität“ des Projekts untergeordnet hatte. Offenbar begriff er den einzelnen Bau als Bestandteil eines größeren Ganzen. Dieses zutiefst urbane Berufsverständnis birgt aus unserer Sicht die Essenz guter Architektur. Perret ist für uns kein stilistisches oder entwurfsmethodisches Vorbild, aber an seiner Arbeit fasziniert uns, dass er, im Gegensatz zur Avantgarde und insbesondere seinem Gegenpol Le Corbusier, sich als Teil der damaligen Gesellschaft verstand. Perrets Maison-Tours von 1922 umringten und erweiterten den historischen Kern von Paris, er respektiert das städtische Herz. Le Corbusiers Ville Radieuse, die auf den ersten Blick sehr ähnlich aussieht, zielte dagegen mit bezeichnender Aggressivität mitten auf das bürgerliche Herz von Paris.
In die Lehrtätigkeit von Axel und Ben an der Gastprofessur von Felix Claus an der ETH Zürich floss diese Überzeugung unmittelbar ein, denn mit Felix trafen wir auf einen Architekten, der diese Überzeugung teilt. Die von Perret erzeugten grundsätzlichen Qualitäten sind der Fokus der Studioarbeit. Gerade im Wohnbau, der im Mittelpunkt der Entwurfssemester steht, geht es unserer Meinung nach darum, den Entwurf als Teil einer urbanen Umgebung zu verstehen und einzufügen, und nicht mit Erfindungen zu überhäufen. Grundsätzliche Qualitäten sind dann vorhanden, wenn das „Gerüst“ eines Gebäudes klar ist. Denn insbesondere dann, wenn nicht in allen Einzelheiten die Vorstellungen des Architekten durchgesetzt werden können oder wenn Innovationen doch nicht funktionieren, ist es ausschlaggebend, dass dieses Gerüst immer noch funktioniert.
3. high theory, low practice: In der Grauzone zwischen Bauen und Architektur
Die Assistenz bei Felix Claus war nicht zufällig zustande gekommen: Ihr war eine Suche nach zeitgenössischen Architekten vorausgegangen, die heute die Ideale von Perret umsetzten. Claus en Kaan Architekten in Holland sind unserer Meinung nach ein solches Büro. Mit ihrer Arbeit wollen sie ihrer eigenen Aussage nach den Graben zwischen der hohen Theorie und der „niedrigen“ Praxis überwinden. Ihre Architektur soll zu Laien und Kritikern gleichermaßen sprechen. Insbesondere fasziniert uns an der Arbeit von Claus en Kaan, dass die „klassischen Werte“ eine wichtige Rolle spielen, ohne dass daraus eine gezwungen konservative Formensprache resultieren würde. Die Auffassung über die eigene Verpflichtung als Architekt in der Gesellschaft ist klar, aber mit einer formalen Entspanntheit gepaart. Dies spricht uns wesentlich mehr an als die hoch spezifischen und auf eine winzige Klientel abgestimmten Entwürfe vieler anderer Architekten aus dieser Generation, die teilweise zwanghaft egomanisch wirken.
Allerdings braucht es noch mehr, um die Lücke wirklich zu füllen und den Blick für die Stadt geweitet zu halten. Deshalb halten wir unseren Büroalltag mit unseren Werkstattgesprächen auf einem gewissen Niveau der geistigen Anregung und des Austauschs. Seit der Gründung von BHSF finden alle drei Wochen Vorträge in lockerer Werkstattatmosphäre im Büro statt. Interessanterweise tendieren diese Abende dabei immer weniger zu einer Nabelschau der Architekturszene und mehr zu dem, was man „interdisziplinär“ nennen könnte. Diese Tendenz zur Überbrückung zwischen Architektur und Gesellschaft wollen wir in Zukunft noch verstärken.
Was die eigentliche Bautätigkeit angeht blieb es nicht aus, dass unsere ersten Realisierungen in genau die Lücke zwischen hoher Theorie und niedriger Praxis fallen, die uns so fasziniert. Die Zahnarztpraxis Popov in Duisburg Wanheim, die Sanierungen, die wir durchgeführt haben und durchführen, sowie das bald fertig gestellte Mehrfamilienhaus in Zürich sind alle ohne „ideale“ Bauherren und Rahmenbedingungen entstanden. Für diese Projekte und auch für Wettbewerbsentwürfe wie das Essener Messeparkhaus ging unsere anfängliche Rechnung jedoch auf: Wir können ihnen mindestens ebenso viel abgewinnen, wie das bei „idealen“ Wettbewerbsprojekten der Fall gewesen wäre. Auch „undankbare“ Aufgaben sprechen „grosse“ Themen an. Sie geben sehr viel Aufschluss darüber, welche Rolle wir als Architekten in der Gesellschaft spielen können und sollten.
Die Architekten unter- und überschätzen ihre Einflussmöglichkeiten: Manchmal dürfen sie zwar so machen, wie sie wollen, aber auch dann ist es der Wille von jemanden, der sie gewähren lässt. Die „Niederungen“ allerdings bieten oft mehr Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten für Architekten, als sie denken: In ihnen kann wirklich viel bewegt werden. Sich hierhin zu positionieren, darin liegt unserer Überzeugung nach auch eine wichtige Aufgabe oder auch Verantwortung des Architekten – und entsprechend auch eines der zentralen Ziele von BHSF.